Interview mit Aiki Mira

Interview mit Aiki Mira

Als Monatsbeitrag für den Dezember gibt es ein Interview zu einem frisch erschienenen Roman. Dem einen oder der anderen dürfte Aiki Mira schon aus den letzten Weltenportal-Ausgaben bekannt sein. Passend zur Veröffentlichung des zweiten Romans „Neongrau“ hat Weltenportalreporterin Sarah Aiki zum Gespräch gebeten:

Aiki Mira (privat)

Du wirst gerade mit Preisen überhäuft. Wie groß ist der Druck, wenn du dich wieder an die Tastatur setzt?

Beim kreativen Schreiben vergesse ich alles um mich herum und bin zugleich ganz bei mir. Ich träume mit offenen Augen, steuere selbstgeschaffene Avatare durch eine Welt, die mein Gehirn in Echtzeit rendert. Das verlangt eine tiefe, fast schon meditative Konzentration – das Hier und Jetzt, Erwartungen oder Ängste spielen dabei keine Rolle. Das kommt erst viel später, wenn ich mich überwinden muss, meinen Text einer anderen Person zu zeigen ‒ oder noch schlimmer: irgendwo einzureichen und zu veröffentlichen!

Was ist für dich die perfekte Schreibroutine, sodass du dich in deine Welten begeben kannst?

Ganz praktisch: Tee kochen und hinsetzen.

Tage, Wochen, Monate, Jahre davor passiert aber bereits eine Menge ‒ im Kopf! Meist beginnt es mit einem interessanten Ort, den ich in Gedanken immer wieder besuche und erforsche. Pixel für Pixel setzen sich dort Figuren zusammen und beginnen zu atmen. Irgendwann überkommt mich der unbändige Drang alles aufzuschreiben, dann erst setze ich mich hin ‒ den eigens dafür gekochten Tee, vergesse ich meist und er wird kalt 🙂

Nach „Titans Kinder“ spielt „Neongrau“ als Cyberpunk im Deutschland der Zukunft. Hast du schon eine Vorstellung, wann und wo das dritte Buch spielt?

Gerade arbeite ich an einem Projekt, das an zwei Schauplätzen spielt: im near-future Berlin sowie in einem nachgebauten biosynthetischen Amazonas. Diese beiden Orte trage ich schon Jahre mit mir herum. Das zukünftige Berlin wird aus Sicht einer anarchischen Community geschildert, der künstliche Amazonas erinnert dagegen an ein riesiges, weirdes Forschungslabor. Der große Reiz beim Schreiben ist, herauszufinden, was an solchen Orten möglich ist, welche Leute dort leben, welche Geschichten dort passieren.

„Neongrau“ greift viele gesellschaftliche Probleme auf. Wie hast du es bewerkstelligt, dies alles zu einer Geschichte zusammenzuflechten?

An einer Stelle in „Neongrau“ wird das Brettspiel GO erwähnt: »GO kennt keine Helden. Alle Steine sind gleichwertig und arbeiten zusammen wie die Atome eines lebendigen Körpers.« Das war mein Vorbild für die Struktur des Romans, eine fortschreitende Verflechtung individueller Perspektiven.

Die Geschichte ergibt sich durch die Vernetzung der einzelnen Figuren. Mir war wichtig zu zeigen, wie Personen ‒ keine Held*innen! ‒ sich immer stärker miteinander verstricken. Jede Person wird dabei mit persönlichen Problemstellungen konfrontiert, die zugleich auch gesellschaftliche Probleme darstellen. Die gesellschaftliche Ebene wird also automatisch hineingewoben.

Hast du in deinen Geschichten eine Figur, die dir besonders nahe ist?

Während dem Schreiben kommen mir Figuren, auch Nebenfiguren ganz nah. Ich kann so tief in sie hineinblicken, dass sie mir trotz ihrer teilweise unverzeihlichen Taten menschlich erscheinen. Aus „Neongrau“ ist Go Stuntboi Kazumi definitiv ein Lieblingscharakter, als Person jedoch schwer zu fassen und daher herausfordernd zu schreiben. Ren ist zwar keine Sympathieträgerin, zum Schreiben jedoch wunderbar! Andauernd übertritt sie Grenzen, bei ihr scheint immer alles möglich zu sein. Auch in ELLL habe ich mich beim Schreiben verliebt. ELLLs Auftreten ist stark, ihre direkte, rohe Emotionalität habe ich erst nach und nach entdeckt.   

Aus dem Roman „Titans Kinder“ ist Rain Seung eine Figur, die mir immer noch sehr nahe geht. Rain war eigentlich als Nebenfigur gedacht, hat sich dann aber von selbst zu einer Hauptperson und von da direkt in mein Herz geschrieben.

Welches Buch liegt bei dir auf dem Nachttischchen?

Auf dem Nachtisch liegt das Belegexemplar „Der Tod kommt auf Zahnrädern“, eine Steampunk-Anthologie von Janika Rehak und Yvonne Tunnat ‒ darin habe ich schon fast jede Story gelesen und weitere Exemplare zum Verschenken bestellt. Auf dem Küchentisch liegt die abgründige Storysammlung „Heimweh nach einer anderen Welt“ von Ottessa Moshfegh, das Buch habe ich mir nach meiner Lesung im Otherland Bookshop ausgesucht. Im Wohnzimmer wartet auf mich das signierte Exemplar von Sven Haupts neuem Roman „Wo beginnt die Nacht“ ‒ das möchte ich in den Weihnachtsferien lesen. Überall dazwischen winken Comics und ein paar Bücher aus der Stadtbibliothek.

Du schreibst deine Bücher im Genre der Science-Fiction. Könntest du dir vorstellen in einem anderen Genre (Krimi, historischer Roman) zu schreiben?

Ich lebe gern in der Zukunft und ich liebe die Wissenschaft, Science Fiction liegt mir daher sehr am Herzen. Zugleich probiere ich gern Neues. „Die Zukunft“, meine erste Steampunk-Story, hat mir ermöglicht, zur Abwechslung etwas Historisches zu schreiben. In der Benefizanthologie für die Ukraine „Friedenszeit“ entwerfe ich mit „Deshalb kann ich nicht fort“ dagegen ein sehr zeitgenössisches Szenario. Inspiriert von aktuellen Ereignissen bewege ich mich zudem jenseits der Genre-Literatur.

Beim Schreiben habe ich meist eine Vision im Kopf ‒ wo ich hin möchte. Genres oder Genre-Grenzen spielen da erstmal keine Rolle.

Du hättest eine Reise frei. Wohin würdest du reisen:
a) in die Zukunft
b) in die Vergangenheit
c) in eine Parallelwelt?

In die Zukunft! Deshalb lese ich so gern aktuelle wissenschaftliche Papers – das ermöglicht mir ein bisschen Zukunftsluft zu schnuppern. Seit ich denken kann ist mein Traum-Reiseziel jedoch kein Zeitliches: Einmal den Heimatplaneten verlassen! Ein konkretes Ziel brauche ich dafür nicht. Das Reisen an sich ‒ unterwegs zu sein ‒ finde ich viel spannender als den Stillstand des Ankommens. Deshalb entwickelt mein Hirn wohl andauernd neue Schreib-Ideen: es will reisen, erleben und erschaffen.

Vielen Dank an Aiki für das aufschlussreiche Interview.

Für weitere Informationen schaut bei Aiki Mira direkt vorbei:
http://www.aikimira.webnode.com
https://www.instagram.com/aiki_mira/

„Neongrau“ erschien im Polarise Verlag:
https://polarise.de

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