Interview Lena Richter
Heute haben wir ein Interview mit Lena Richter für euch.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe schon in der Grundschule Geschichten geschrieben (und Bücher verschlungen), als Teenager und junge Erwachsene dann pathetische Gedichte und düstere Minigeschichten, wie sich das gehört, haha. Dann habe ich eine ganze Weile vor allem im Kontext von Pen-and-Paper-Rollenspiel geschrieben: Zusammenfassungen von Spielrunden, Geschichten zu meinen Charakteren und Rezensionen und News für eine Seite zum Rollenspiel „Das Schwarze Auge“. Darüber entstanden dann auch ein paar Kurzgeschichten in der Welt von Aventurien. Irgendwie geschrieben habe ich also immer, nur mit den Geschichten, die in eigenen Welten (oder einfach unserer eigenen) spielten, hat es etwas gedauert. 2014 habe ich einen Schreibkurs gemacht, für den auch eine Kurzgeschichte entstanden ist (man kann sie auf meiner Website lesen), und dann hat es irgendwie noch ein bisschen gedauert, bis ich dann 2019 angefangen habe, regelmäßiger zu schreiben und Texte bei Ausschreibungen einzureichen. Seit 2019 ist eigentlich jedes Jahr ein bisschen was von mir erschienen, vor allem Kurzgeschichten und Essays. 2021 habe ich die Novelle „Dies ist mein letztes Lied“ geschrieben, Anfang 2022 hat der Verlag ohneohren sie angenommen und Anfang 2023 ist sie dann erschienen. Meine neueste Veröffentlichung ist die Kurzgeschichte „Vom Ende zum Anfang“ in der Anthologie „Am Saum der Welten“, die im März 2024 erschien.
Letztes Jahr erschien “Dies ist mein letztes Lied” und hat für viel Zuspruch gesorgt. Wie sehr hat dich die Aufmerksamkeit überrascht?
Ich habe mich sehr gefreut, dass dieses kleine, seltsame Buch so gut ankam, sowohl bei Leuten, die sehr viel Science-Fiction lesen als auch bei Lesenden, die das Genre bisher nicht oder kaum kannten. Ich denke, dass da schon auch eine Rolle gespielt hat, dass die Novelle eben nur 150 Seiten hat und deshalb auch etwas zugänglicher ist als ein 600-Seiten-Roman. Gerade in den anstrengenden und schwierigen Zeiten, in denen wir aktuell leben, fehlt manchmal die Zeit und Energie zum Lesen und kürzere Sachen haben da vielleicht eine niedrigere Einstiegshürde. Es geht im Buch ja auch viel um Kunst und was man damit bewirken kann, um Hoffnung vs. Machtlosigkeit, vielleicht hat es einfach mit vielen Leuten beim Lesen ein bisschen resoniert. Und ich glaube, dem Verlag und mir ist es ganz gut gelungen, die richtigen Erwartungen zu wecken, durch das Cover und indem eben z. B. einige Schlagworte hinten draufstehen, die relativ klar machen, dass zwischen den Buchdeckeln jetzt eher keine actiongeladenen Laserkanonenschlachten zu finden sind, sondern eine eher leise Geschichte mit viel Queerness und Kapitalismuskritik. Ich fand es auch schön, dass es eine Leserunde gab, und dass sich so viele Menschen auch die Zeit für eine Rezension genommen haben. Richtig überrascht hat mich hingegen die Nominierung für den Kurd-Laßwitz-Preis. Da hatte ich eher nicht dran geglaubt, weil das Buch von klassischer Hard-SciFi ja doch ein ganzes Stück weg ist.
Erzähl doch ein bisschen über den Entstehungsprozess von “Dies ist mein letztes Lied”.
Die Novelle hat mal als Kurzgeschichte angefangen, die ich für eine Ausschreibung 2019 geschrieben hat. Die wurde dann nicht genommen, was im Nachhinein auch gut war, sonst gäbe es die Novelle ja jetzt nicht. 2021 war ich dann irgendwann ein bisschen frustriert von meinem Romanprojekt, dessen Ende einfach noch sehr weit weg schien. Ich beschloss deshalb, dass ich einfach mal etwas längeres als eine Kurzgeschichte fertig schreiben will, was aber insgesamt einen weniger einschüchternden Umfang hat. Der arme Roman landete also halbfertig erstmal auf dem Abstellgleis und ich schnappte mir die besagte Kurzgeschichte, die schon genau die Episoden und Welten hatte, nur eben mit lediglich einem Absatz pro Abschnitt. Diese Absätze baute ich dann jeweils zu einem Kapitel aus.
Inhaltlich ist „Dies ist mein letztes Lied“ von vielen anderen Werken beeinflusst, z. B. von anderen Science-Fiction-Novellen wie „To be taught, if fortunate“ von Becky Chambers und „This is how you lose the time war“ von Amal El-Mohtar und Max Gladstone, aber auch von Talks und Essays zum Thema Queeren von Erzählungen, beispielsweise von Avery Alder, einer kanadischen Spieldesignerin. Der Titel wiederum stammt von einem Straßenmusiker, dem ich mal auf dem Heimweg begegnete und der das Ende seines Auftritts mit den Worten „This is my last song“, ankündigte. Das, dachte ich mir damals, wäre doch ein toller erster Satz für eine Geschichte, wenn man es wörtlich nimmt.
Du bist auch Mitherausgeberin von “Queer*Welten”. Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?
Mit-Herausgeber*in Judith kenne ich schon seit ungefähr 2012, wo wir uns über das oben schon erwähnte Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ kennengelernt haben (Judith als Autor*in, ich als News-Seiten-Mitarbeiterin). Seit 2018 machen wir zusammen den Genderswapped Podcast, in dem wir über Rollenspiele, Nerdkultur, Medienkritik und alles mögliche andere reden, auch immer wieder übers Schreiben. Als der inzwischen leider insolvente Phantastik-Verlag Feder&Schwert 2019 ein neues Label namens „Wicked Queens“ ins Leben rief, in dem feministische Phantastik erscheinen sollte, haben Judith und ich Kathrin Dodenhoeft vom Verlag vorgeschlagen, einmal im Jahr ein Magazin mit passenden Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Kathrin war sofort dabei, nur leider ging dann halt kein halbes Jahr später der Verlag in die Insolvenz. Dann lernte Judith kurz danach Jascha Urbach kennen, den damaligen Verlagsinhaber des Ach Je-Verlags, der auch die Idee zu einem Kurzgeschichtenmagazin hatte. Als dritte Herausgeberin holten wir dann Kathrin ins Boot. Inzwischen erscheint das Heft im Amrûm-Verlag von Jürgen Eglseer, der Ach Je als Imprint übernommen hat, und zwischen Heft 7 und 8 gab es noch einen Wechsel in der Redaktion, Kathrin Dodenhoeft ist aus Zeitgründen ausgestiegen und Heike Knopp-Sullivan kam neu dazu.
Alle Beteiligten verband und verbindet eine Liebe zu progressiven, feministischen, queeren Texten bzw. generell Texten, die aus marginalisierter Perspektive erzählen. Wir freuen uns, dass wir mit dieser Prämisse, die ich immer liebevoll als „Nische der Nische der Nische“ bezeichne, inzwischen schon das 12. Heft herausbringen.
Was sind deine Aufgaben bei “Queer*Welten” und welche macht dir am meisten Spaß?
Ganz wichtig ist natürlich die Auswahl der Texte und die Arbeit an den Texten. Hierbei gehen wir immer zu dritt vor, also wir lesen alle drei jede Einsendung, sprechen darüber, entscheiden uns, welche Texte wir ablehnen, zusagen oder mit der Bitte um Überarbeitung zurücksenden, das kommt auch manchmal vor. Es wird auch jeder Text von allen drei Herausgebenden lektoriert, meist in mehreren Durchgängen. Das ist auch definitiv der Teil, der mir am meisten Spaß macht, ich liebe es, gemeinsam mit den Autor*innen an ihren Texten zu arbeiten und zu schauen, wie man das meiste aus ihnen rausholen kann.
Ansonsten gehört natürlich noch Kommunikation dazu, also Mails mit Zu- oder Absagen schreiben und mit den Autor*innen und Illustrator*innen kommunizieren, das Konzipieren der Sonderausschreibungen (und auch da wieder das Lesen und Auswerten der Einsendungen). Dazu kommt das Schreiben von Veranstaltungs- und Buchtipps für den Queertalsbericht. Und für jede Ausgabe natürlich auch das gründliche Korrekturlesen der Druckfahne, also der Version nach dem Layout. Ich kümmere mich auch ums Schreiben der Artikel für die Website und unsere Social-Media-Accounts, während Heike und Judith dafür andere Aufgaben übernehmen.
An welchem Projekt arbeitest du gerade?
Was eigene, längere Texte angeht: Es gibt da einen halbfertigen postapokalyptischen Science-Fantasy-Roman, den ich hoffentlich irgendwann mal weiterschreibe. Gleichzeitig habe ich gerade eine Zusage zu einem neuen Science-Fiction-Projekt erhalten, das auch wieder ein etwas ungewöhnliches Format haben wird. Ansonsten lektoriere ich gerade einen Roman und habe in den letzten Wochen einen langen Essay über die Probleme von generativer KI fürs diesjährige Science-Fiction-Jahrbuch geschrieben, die 12. Ausgabe Queer*Welten korrekturgelesen und eine Leseprobe und ein Exposé lektoriert. Langweilig wird es also nicht! Nur die Zeit fürs eigene Schreiben fehlt gerade etwas.
Würdest du gerne einmal ein anderes Genre ausprobieren?
Mein Herz schlägt schon ziemlich für die Phantastik, die ja auch verschiedenste Ausprägungen, Stimmungen und Unter-Genres hat, sodass man da ja sehr viel Unterschiedliches schreiben kann. Ich habe aber durchaus auch Ideen, die sich auch ohne jede phantastische Komponente umsetzen ließen, wenn ein Verlag Interesse daran hätte. Also ich bin da eigentlich für alles offen und schaue eher, welche Idee sich wie am besten umsetzen lässt (und idealerweise dann auch von irgendwem verlegt wird).