Interview Marie Meier

Hallo zusammen.
Heute gibt es ein Interview mit einer Autorin, der wir über Instagram bei der Veröffentlichung ihres Romans über die Schulter schauen konnten.
Hi Marie. Du bewirbst in den letzten Wochen fortwährend »Seelengrube«, den ersten Band deiner Reihe »Der letzte Schlüssel«. Für die, die noch nichts von dem Buch gehört haben, um was geht es und an wen richtet sich das Buch?
In der Science-Fantasy-Reihe geht es um Jule, die mit der größten Gabe des Universums beschenkt wurde, nämlich dem Ruf. An der Zitadelle von Arges wurde ihr beigebracht, Materie mit ihrem Ruf zu formen – theoretisch zumindest, denn sie ist darin sagenumwoben schlecht. Da sie als Beschwörerin nichts taugt, richtet sie sich deshalb bereits auf eine schnöde Beamtenkarriere ein. Ein Auftrag der Zitadelle bringt ihre Pläne durcheinander: Jule wird von intergalaktischen Rebellen gefangen genommen. Im Kerker trifft sie das schnippische Monster Mika. Statt sie zu fressen, unterbreitet Mika ihr ein Angebot, das das Leben der beiden ändert. Plötzlich ist Jule die Geheimpolizei auf den Fersen, die Götter der Stadt Arges verwickeln sie in ihre Spiele, und im Hintergrund schwelt der politische Konflikt.
Die Reihe richtet sich an Lesende, die sich nicht daran stören, wenn ihrer Far-Future-Welt ein wenig Fantasy beigemischt wurde. Wer Selbstfindungstrips mit Ü30-Heldinnen mag, nichts gegen Romantik und Action hat, aber trotzdem ernste Themen wie Mental Health, soziale Ungerechtigkeit und Rebellion schätzt, wird mit »Seelengrube« sicher glücklich werden.
Wie kann ich mir die Arbeit an deinem Weltenbau vorstellen? Du zeigst hier so viel Liebe zum Detail, woher kommt die Inspiration und auch die Technik, dass untereinander alles stimmig ist?
Bevor ich Bücher geschrieben habe, habe ich Rollenspielwelten für meine Tischrollenspielrunden entworfen. Spielende stellen allerlei Fragen an ihre Spielwelten, denn sie wollen mit ihr interagieren: Woraus sind die Gebäude (denn ich will sie zerstören)? Gibt es eine Kanalisation (für den Einbruch)? Wie funktioniert das politische System (denn ich will es unterwandern)? Was für Tiere geben in einer Vulkanlandschaft Milch (für meinen Kaffee)?
Oft kamen Dinge auf, an die ich selbst gar nicht gedacht habe. Wenn ich eine Welt entwerfe, stelle ich mir meine alte Rollenspielrunde vor, die mit völlig unterschiedlichen Bedürfnissen an die Welt herantritt. Ich versuche mich in sie hineinzuversetzen. Dabei ist es wichtig, immer ein waches Auge auf die Beschaffenheit der Welt zu haben. Arges ist ein Wasserplanet, auf dem die gleichnamige Stadt sitzt – wo kriegt Protagonistin Jule da ihre Milch für ihren Morgenkaffee her?
Meine Inspirationen kommen von überall – gerade aktuelle politische Themen verarbeite ich. Wenn wir auf Kunst und Kultur schauen, lasse ich mich aber viel von Filmen und Serien inspirieren. Arges ist ein Stadtplanet – wie Coruscant aus Star Wars beispielsweise. In dem Jahr, in dem ich »Seelengrube« schrieb, kam »Andor« raus, was mich auf jeden Fall beeinflusst hat. Die sehr symbolträchtige Architektur, in der die ärmsten Menschen in der Unterstadt leben, ohne Sonnenlicht, und die reichsten ganz oben, findet sich so auch in der Serie »Arcane«. Diese Art von Architektur nach sozialen Schichten ist aber recht gängig, beispielsweise in Filmen wie »Snowpiercer« oder »Parasite«, aber auch der Serie »Altered Carbon«. Alle drei habe ich sicher unterbewusst in mein Schreiben einfließen lassen.
Beim Magiesystem wollte ich etwas Außergewöhnliches. Die sehr körperliche Art, wie Magie gewirkt wird, mit Handgesten und Haltungen, ist vom klassischen indischen Tanz inspiriert. Zugleich ist das Magiesystem aber auch eine Art Gebärdensprache, in der mit Gesten und Körper ein Wunsch artikuliert wird – ich musste mir also überlegen, wie die Grammatik in dem Falle aussieht.
In deiner Beschreibung sagst du selbst, dass die Reihe ein Genremix ist. Was sich im ersten Moment toll anhört, da es unheimliche Freiheiten bietet, muss doch schwer sein, weil man quasi alles neu erfinden muss?
Die Kombination aus Heldengeschichte, Science-Fiction, Fantasy und Romance ist eigentlich schon sehr lange auf dem Markt, aber vielen ist das nicht so bewusst. Viele bekannte Science-Fiction-Werke sind eigentlich Science-Fantasy-Werke – »Dune« zum Beispiel, »Star Wars« oder auch »Iron Widow«.
Schwer ist vor allen Dingen die Vermarktung, weil auf dem deutschen Markt viel klarer zwischen Fantasy und Science-Fiction unterschieden wird. Fantasy wird in Deutschland zudem oft mit Eskapismus in Verbindung gebracht, Science-Fiction hingegen mit ernsten Themen, die eine direkte Aussage über uns als Gesellschaft treffen. Fantasy kann aber durchaus dasselbe leisten wie Science-Fiction – und Science Fantasy umso deutlicher. R. F. Kuangs »Babel« ist eine Alternativweltgeschichte – also ein Subgenre der Science-Fiction. Es hat magische Elemente, aber eskapistisch sind die keinesfalls. Sie sorgen dafür, dass Themen wie Rassismus und Kolonialismus stärker hervortreten. Ähnlich verhält es sich mit vielen Büchern aus der Fantasy. Ich würde mir wünschen, dass Lesende etwas offener an Genres abseits ihrer typischen Lesepfade herantreten.
Begleitet werden deine Instagrampostings durch die Illustrationen von Johanna Lehmert. Oft gibt es die Diskussion, wie viel Kreativität man dem Lesenden überlässt. War es für dich wichtig, viele Aspekte zu visualisieren, damit man die Welt besser versteht?
Johanna und ich fanden auch, dass es bestimmte Aspekte gibt, die man den Lesenden überlassen sollte. Andererseits ist visuelles Marketing so wichtig wie nie zuvor – wir sind immerhin in Zeiten von Charakterkarten und Farbschnitt. Wir haben uns daher für einen Mittelweg entschieden: So findet man die Figurenillustrationen auf Social Media, aber im Buch sind sie nicht abgedruckt. Man sieht die Figuren, wenn man tatsächlich über meine Kanäle auf das Buch stößt, kann sie jedoch beim Lesen auch wieder vergessen.
Uns war wichtig, vor allen Dingen schematische Aspekte der Welt ins Buch zu bringen. Die Symbole der magischen Aspekte sind beispielsweise im Buch abgedruckt – die Bilder finde ich hier eine elegante Lösung gegenüber kleinteiligen Beschreibungen. Dasselbe gilt für das Bild mit den Stadtschichten am Anfang von »Seelengrube«. Es ist ein bisschen wie ein visuelles Glossar. Wenn man sich fragt »Wo war noch gleich der Lüster?«, kann man vorne ins Buch schauen und sich orientieren.
Gibt es eine zentrale Figur, die in ihrem Wesen so einmalig ist, dass die Geschichte ohne diesen Charakter nicht funktionieren würde?
Protagonistin Jule formt die Geschichte von »Seelengrube« auf jeden Fall wie keine andere Figur. Aber nicht einmal im traditionellen Sinne – sie ist nicht die Art von Heldin, die sich ins Abenteuer stürzt, sondern gerade zu Beginn eher die, die vom Abenteuer überfallen wird. Als Unterstädterin hat sie in der Welt nicht viele Chancen bekommen, aber nicht nur die gesellschaftliche Ordnung steht ihr im Weg, sondern mitunter auch sie selbst. Das beeinflusst die Dramaturgie der Geschichte und die Art, wie heldenhafte Situationen mit ihr durchlebt werden.
Man begegnet in »Seelengrube« den unterschiedlichsten Charakteren. Welche gehen dir beim Schreiben am leichtesten von der Hand?
Ich genieße es sehr, Zalima zu schreiben. Zalima ist Jules Mutter und wird von vielen als sehr unangenehme und übergriffige Figur wahrgenommen. Viele Lesende haben aber auch gesagt, dass Zalima deshalb so unangenehm ist, weil jeder irgendwie eine Zalima in seinem Leben hat, eine Kollegin, Mutter oder Tante. Und weil ich auch mindestens eine Zalima in meinem Leben habe, geht sie mir leicht von der Hand.
Gleichzeitig schreibe ich aber auch sehr gern Florence. Florence ist einfach wütend über die Ungleichberechtigung in Arges, die entrückten Politiker, die Fremdenfeindlichkeit. Wenn ich am Morgen meine Nachrichten-App öffne, bin ich sofort im richtigen Mindset.
Wann geht es mit »Der letzte Schlüssel« weiter?
Band 2 erscheint voraussichtlich Ende April 2026. Mit Band 3 rechne ich dann Ende 2026. 2027 erscheint der letzte Band.
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Foto: Marie Meier (privat)