Interview Herausgeberteam „Ihr Körper, das Schiff“

Interview Herausgeberteam „Ihr Körper, das Schiff“


Einleitung:
Heute erscheint Ihr Körper, das Schiff, eine Sammlung der besten SF-Geschichten aus dem anglo-amerikanischen Raum. Die Anthologie erscheint im A7L-Verlag, der von Matthias Matting (besser bekannt als Brandon Q. Morris) und Benjamin Krämer (besser bekannt als Joshua Tree) geleitet wird. Federführend bei diesem Projekt war hier Matthias. Ausgewählt wurden die Geschichten von Christine „Chris“ Witt und Yvonne Tunnat.
Sarah interviewt hier Matthias, Chris und Yvonne.

Heute erscheint „Ihr Körper, das Schiff“. Wie seid ihr auf das Projekt gekommen?
Matthias: Yvonne und ich unterhielten sich ca. in der zweiten Hälfte 2023 bei X (damals noch Twitter) darüber, dass zu wenig übersetzte Kurzgeschichten erscheinen. Ich fragte daraufhin Yvonne, ob sie nicht Lust hätte, eine Auswahl zu treffen, und der A7L Verlag würde die Anthologie dann bringen. Yvonne wollte das nicht allein machen und holte Chris dazu, die ihr Interesse an angloamerikanischer SF teilt.

Gab es Geschichten, die den Startschuss für das Projekt bildeten?
Chris: Zu Anfang stand eine Geschichte, die Yvonne gelesen hatte und von der wir beide wussten, dass wir sie unbedingt in die Anthologie aufnehmen wollten: „Pinocchio Photography“ von Angela Liu. Diese Geschichte war sozusagen der Ausgangspunkt.
Passenderweise steigt die Anthologie auch mit dieser Geschichte ein.

Was unterscheidet anglo-amerikanische von deutschsprachigen SF- Erzählungen?
Yvonne: Die anglo-amerikanische Science-Fiction ist länder-übergreifender. Da man nicht nur in den USA und GB Englisch als Verkehrssprache hat, ist schon die Zahl der Schreibenden viel größer, dann gibt es noch ausreichend Autor*innen aus anderen Ländern, die Englisch gut genug beherrschen, um Kurzprosa auf Englisch zu verfassen (in Nigeria lernt man beispielsweise Englisch schon mit dem Schulstart), und zudem bemühen sich einige Publikationsplattformen (wie Clarkesworld ) noch regelmäßig um Übersetzungen.
So haben die Magazine – und Anthologie-Herausgebenden viel mehr Auswahl, können besser sieben, und es gibt natürlich insgesamt einen viel größeren Scope an SF-Kurzgeschichten.

Während die Zahl der deutschsprachigen Kurzgeschichten mittlerweile bei ca. 500 pro Jahr liegt, ist die Anzahl im englischsprachigen Markt viel höher, in der Tat ist eine genaue Zahl nicht ermittelbar, eine Suchanfrage schätzt die Zahl in den Tausendern .
Demnach ist es auch einfacher, viele Geschichten zu finden, die einem gefallen, sofern du weißt, wo du suchen musst. Daraus ein Best-Of zu machen, ist eine dankbare Aufgabe, denn man findet viel tolles Material!


Zumal es auch viele Profis gibt, die ihr Geld mit dem Schreiben verdienen, auch die Herausgebenden sind Profis und nicht selten wird die Arbeit an Magazinen usw. auch bezahlt, anders als in Deutschland. Dafür bezahlt zu werden, heißt nicht selten, dass sich die Menschen auch mehr Zeit nehmen können und die Dinge nicht nach dem eigentlichen Feierabend noch irgendwie in ihre Freizeit quetschen müssen, wie hierzulande.

Wie kann man sich die Arbeit an einem solchen Projekt vorstellen?
Chris: Das war schon sehr herausfordernd. Wir haben fast ein Jahr lang etliche Magazine durchgearbeitet und uns gegenseitig auf einzelne Stories hingewiesen, uns ausführlich darüber ausgetauscht und dann letztendlich entschieden. Nur wenn wir beide von der Story überzeugt waren, haben wir sie ausgesucht. Wir hatten uns überlegt, dass jede von uns einmal eine Story auswählen kann, die der anderen nicht gefällt, ein Trumpf sozusagen, aber das haben wir beide nicht genutzt.

Matthias: Nach der Auswahl begann der langwierigste Teil der Arbeit – alle Autorinnen und Autoren zu kontaktieren. Manche antworteten sofort, andere spät, und fast jede/r hatte auch kleine Änderungen an unserem Vertrag anzubringen. Es hat mindestens ein halbes Jahr gedauert, bis wir alle Verträge unter Dach und Fach hatten. Danach habe ich die Originale an unsere bewährte und KLP-nominierte Übersetzerin Sharyn Wegmann gegeben, die ebenfalls ihre Zeit für ihre Übertragung ins Deutsche benötigte.
Das finale Werk habe ich dann noch in zwei Durchgängen überprüft. Ich bin trotzdem auf die unvermeidlichen Fehler gespannt, die es geschafft haben, vier Augenpaaren zu entgehen …

Wie habt ihr entschieden, welche Texte es letztlich in das Buch schaffen?
Chris: Es war uns wichtig, die ganze Vielfalt der SF abzubilden. Daher haben wir versucht, Geschichten mit ganz unterschiedlichen Themen zu finden: die Folgen der Umweltzerstörung und des Klimawandels, zukünftige Entwicklungen in der Wissenschaft, Raumfahrt, künstliche Intelligenz. Dabei hat uns in erster Linie interessiert, wie Menschen sich diesen Entwicklungen anpassen oder den Herausforderungen stellen – keine Helden, sondern ganz normale Leute mit ihren Ängsten und Nöten und ihren Schicksalen. Spannend waren auch die jeweiligen kulturellen Hintergründe der Autory, die in die Geschichten einflossen und oft ganz neue Blickwinkel eröffneten.

Habt ihr eine Lieblingsgeschichte?
Chris: Das ist schwierig. Wir haben ja nur Geschichten ausgesucht, von denen wir beide wirklich überzeugt waren. Und die Geschichten sind alle sehr unterschiedlich, nicht nur bezüglich der Themen. Manche sind sehr berührend – und einige sind richtig böse. Ich liebe eigentlich alle Geschichten der Anthologie, aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich wohl „In Erinnerungen ertrinken wir“ aussuchen, weil sie das Gefühl des Verlusts und der Verzweiflung auf den Punkt bringt, in einer Welt, die dem Untergang geweiht ist.

Yvonne: Ich habe viele Lieblingsgeschichten in dem Band. Ich versuche mal, nicht alle aufzuzählen.
Thematisch finde ich “In den Tagen danach” unglaublich spannend und interessant. Ich
hatte selbst schon ähnliche Ideen (Menschen, die nicht mehr altern), aber hier kommt noch die realistische Komponente der Diskriminierung dazu und viel anderes, das subtil bleibt und das mich auch nach mehrmaligen Lesen noch immer begeistert.
Sowohl “In Erinnerungen ertrinken wir” als auch “Pinocchio Photography” sind sprachlich, menschlich und thematisch bereits meine All-Time-Favorites, zu denen ich immer wieder gern zurückkehre.
“Dein kleines Licht” ist beispiellos in einer neuen Dimension von Tragik und spezies-übergreifender Berührtheit – ich weiß kaum, wohin ich mit mir soll, wenn ich die Geschichte lese.
“Erinnerungen an verlorene Erinnerungen” greift ein tolles SF-Thema auf und punktet dazu noch durch die Beziehungen, sowohl der Verwandtschaft als auch der Freundschaft zu den Nebenfiguren.
Und “Ein Jahr ohne Sonnenschein” bildet dann den positiven Abschluss, den Lichtblick, dass trotz allem immer noch eine tolle Gemeinschaft möglich ist, insofern ist Kritzers Story die perfekte letzte Story, die positivste, die mich mit einem Lächeln entlässt. Außerdem enthält sie so viele tolle menschliche Beobachtungen und auch menschliche Arschkrampen-Momente, die genauso echt wirken wie die gute Gemeinschaft.

Zwei der Autor*innen (Angela Liu und Kelsea Yu) habe ich auch schon interviewt. Und von Kelsea Yu und Auston Habershaw habe ich inzwischen auch ihre Romane gelesen.

Ist ein weiterer Band geplant?
Matthias: Es wäre großartig, wenn wir das als Reihe etablieren könnten – deshalb hoffen wir darauf, dass sich das mit den Verkäufen rechtfertigen lässt.

Vielen Dank für das interessante Interview.
Neugierig geworden? Dann schaut hier vorbei: https://www.amazon.de/Ihr-Körper-das-Schiff-internationalen-Science-Fiction-Geschichten/

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