Interview Frank Weinreich

Interview Frank Weinreich

Kennt ihr schon Frank Weinreich? Nein? Dann lest unser Interview.

Wie bist du Lektor geworden?
Eher zufällig. Ich habe in den Neunziger Jahren studiert und oft Haus- und Abschlussarbeiten von Kommilitoninnen und Kommilitonen korrekturgelesen, wovon bald eine ganze Reihe Leute wussten. Eigentlich hatte ich jedoch eine Unikarriere im Auge, bin dann aber angesichts der Bologna-Reformen vor der dadurch entstehenden Studienatmosphäre mit Bachelor und Master zurückgeschreckt, weil dies nicht mehr meine freie Uni war, die ich so liebte. Ein Studienfreund, der auch  schon unter meinem Rotstift gelitten hatte, gründete zu der Zeit einen Verlag und fragte mich, ob ich den Posten des Lektors übernehmen wolle. Als dann Mitte der 00er-Jahre Helmut Pesch von Lübbe mit dem Angebot auf mich zukam, für den Verlag Science Fiction und Fantasy als Außenlektor zu übernehmen, war der Rest, wie man so sagt, Geschichte.

Inzwischen habe ich schon einige Büchermenschen interviewt. Es zeichnet sich ab, dass man sich beim Lektorieren auch auf Genres spezialisieren soll. Wie siehst du das?
Es ist für die Manuskripte sicherlich insgesamt besser, wenn die Lektorin, der Lektor das Genre besonders gut kennen. Und eine Spezialisierung führt natürlich auch dazu, dass man selbst als Redakteur/Redakteurin immer besser wird, was alle Belange des Genres angeht. Genres haben oft eine typische Dramaturgie oder sogar ein spezifisches Wording, das die Leserinnen und Leser erwarten, was beides bedient werden muss, also auch im Auge der Lektor/in zu sein hat. Das Alltagsgeschäft besteht üblicherweise nicht darin, einen James Joyce nach einem Stanislaw Lem, nach einem J.R.R. Tolkien zu lektorieren, sondern Genre-standards zu redigieren. Es ist aber nicht unbedingt nötig, Spezialist/in zu sein, wenn die Lektorierenden gewissenhaft vorgehen; nur muss man sich in Genres, die einem weniger bekannt sind, jeweils zeitaufwendiger einarbeiten. Wenn also gute Genrekenntnisse auch eine schöne Sache sind, darf man bei allen freien Lektorinnen und Lektoren auch nicht vergessen, dass wir als Berufsgruppe nach den Zahlen der Künstlersozialkasse im Durchschnitt einen recht geringen Verdienst haben. Da kann man es sich als Romanzenspezialist/in nicht unbedingt leisten, das Angebot, einen Thriller zu lektorieren, auszuschlagen, nur weil die eigene Spezialisierung eine andere ist.

Wie kann man sich deine Arbeitsweise mit einem zu lektorierenden Text vorstellen?
Kopfüber hinein und einmal hindurch schwimmen. Dem folgen ein oder zwei Korrekturdurchgänge (Korrektur meines eigenen ersten Durchgangs, nicht Suche von Schreibfehlern), je nach Qualität des Ausgangsmaterials. Ich bin immer auch ein (meist recht) begeisterter Leser und lasse mich bewusst von der Story überraschen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die erst einmal alles lesen, sich Notizen machen und dann an die Textarbeit gehen. Das würde mir dann doch einiges an Spaß daran nehmen, also lerne ich die Geschichte beim Überarbeiten kennen. Bei so richtig spannenden Büchern – in den letzten zwei Jahren etwa die Jade-Daniels-Trilogie von Stephen Graham Jones, dem meiner Meinung nach derzeit besten Horrorautor weltweit – muss ich mich nur immer wieder ermahnen, langsam und sorgfältig vorzugehen und nicht dem Wunsch nachzugeben, sofort erfahren zu wollen, was als Nächstes passiert. Das klappt aber bisher ganz gut. 

Macht es für dich einen Unterschied, ob dir der Text persönlich gefällt? Oder kannst du dich professionell vom Inhalt abgrenzen und dich nur „den Fehlern“ widmen?
Den Fehlern widmen sich hauptsächlich Korrektorinnen und Korrektoren, und für diesen Arbeitsschritt ist es in der Tat egal, ob man das Genre oder den Text mag oder nicht. Ich betreue noch immer einen Kunden aus meiner Anfangszeit, für den ich Quartalsberichte korrigiere – ein ‘Genre’, das eher langweilig ist, aber dass ich anscheinend trotzdem so zufriedenstellend bearbeite, dass der Kunde nach über fünfzehn Jahren immer noch kommt. Scherz beiseite. Das Lektorat erfordert Textarbeit auf allen Ebenen – Dramaturgie, Stil, inhaltliche Korrektheit und Sprache – weshalb man tief in Texte eintaucht und sie, wie schon gesagt, auch mehr als einmal liest. Das macht natürlich mehr Spaß, wenn einem der Text auch persönlich gefällt. Die Arbeit erfordert aber auch Distanz zum Manuskript, um etwaige Schwächen zu erkennen und Stärken möglichst noch akzentuieren zu können. Natürlich ist es toll, wenn man eine sehr gute Story, die womöglich auch noch stilistisch exzellent erzählt ist, auf dem Tisch hat, aber es darf auf der rationalen Arbeitsebene eben keinen Unterschied machen, wie man an den Text herangeht. Dass man sich Jahre später vor allem an die richtig guten Manuskripte erinnert, ist eine emotionale Sache, die man bei der konkreten Textarbeit außen vor halten muss.

Wenn du selbst schreibst, findet man deine Texte in der Sekundärliteratur. Wie wählst du deine Themen aus, über die du schreibst?
Ich bin studierter und promovierter Philosoph, und die großen Fragen der Philosophie treiben mich immer noch um: Was können wir wissen? Wie sollen wir leben? Was ist, und was ist nicht, und gibt es da überhaupt einen Unterschied? Neben den Geistesgrößen der Geschichte sind es vor allem Autorinnen und Autoren der Phantastik, die sich mit diesen Fragen beschäftigen (und die in vielen Fällen – Ursula Le Guin, Douglas Adams und viele, viele mehr – selbst genau solche Geistesgrößen sind) und Bücher schreiben oder Filme drehen oder Computerspiele entwerfen, die sich mit eben diesen Fragen beschäftigen. Das ist Kunst. Aber Kunst spricht im Gegensatz zu wissenschaftlichen Ausführungen in der Regel verklausuliert, umschreibt, benutzt Metaphern, Allegorien, Satiren. Es macht mir großen Spaß und ist mir auch eine kleine Berufung, diese Dinge herauszuarbeiten und Interpretationen anzubieten, die das Verständnis phantastischer Kunst und Literatur ein bisschen verbessern helfen. Meine konkreten Themen wähle ich dann nach eben dem Kriterium des Gehalts aus, den ich darin sehe. Und natürlich muss mich das Thema interessieren, weshalb viele meiner Aufsätze und Bücher eben doch oft um Politik, Ethik und Ontologie in der Phantastik kreisen. Aber diese Themen finde ich auch nirgends besser aufbereitet als in diesem Genre der unbegrenzten Möglichkeiten.

Wieviel Zeit benötigst du, wenn du für einen Sekundärtext recherchierst?
Das lässt sich nicht sicher beantworten; Tage bis Monate, je nach Umfang und Thema. Schreibe ich zu Tolkien im Speziellen oder High Fantasy oder der politischen Bedeutung von Science Fiction im Allgemeinen profitiere ich von einem gesunden Grundwissen, das es mir ermöglicht, ein Textgerüst zügig zu erstellen und dann nur noch punktuell Aussagen zu verifizieren oder für Behauptungen ‘Munition’ aus vorgängiger Literatur zu sammeln. Bei einem neuen Thema ist das natürlich anders. Ein Beispiel: Irgendwann im nächsten Jahr steuere ich einen Beitrag zu einem Band über die britische TV-Serie “Robin of Sherwood” aus den Achtzigern bei. Es wird wieder um grundlegende Fragen wie den phantastischen Überbau des eigentlich historischen Themas gehen. Da muss ich wegen aktuell noch bestehender Unkenntnis erst einmal ein paar Bücher über die Figur Robin Hoods lesen und dann meine Geschichtskenntnisse über das normannisch-britische Hochmittelalter auffrischen müssen, und das wird dauern. Die Fantasy-artige Atmosphäre dieser besonderen Geschichte von Robin und den Merry Men dann mit Mythen und Magie in Verbindung zu bringen wird hingegen schneller gehen, weil Mythen meine Leib- und Magenspeise sind. 

Ein Tag ohne Science Fiction und Fantasy ist für dich …
Schwer zu beurteilen, weil er seit meiner Jugend nicht mehr eingetreten ist. (Wenn wir SF/Fantasy auf Phantastik im Allgemeinen erweitern 😀)

Ich danke für dieses Interview 😀

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